Für viele Patienten mit einer bösartigen Erkrankung des blutbildenden Systems wie Leukämie oder Lymphom ist es oft die einzige Chance auf Heilung: die Übertragung fremder Stammzellen und die damit verbundene Implementierung eines neuen Immunsystems. Eine solche allogene Stammzelltransplantation ist inzwischen die häufigste zelluläre Immuntherapie bei bösartigen Erkrankungen des blutbildenden Systems. Die positiven Ergebnisse dieser Behandlung können jedoch aufgrund von Abstoßungsreaktionen (so genannte „Transplantat-gegen-Wirt-Krankheit“ [engl. Graft-versus-Host Disease, GvHD]) wie auch durch Rückfälle der Grunderkrankung infolge einer unzureichenden Immunantwort gegen die Krebszellen (engl. Graft-versus-Leucemia, GvL) stark beeinträchtigt werden. Es besteht daher ein dringender Bedarf, neue Therapien zu entwickeln, die Rückfälle und Abstoßungsreaktionen gleichermaßen vermeiden bzw. heilen können. Dazu müssen aber die zugrundeliegenden Mechanismen noch besser verstanden werden. Das Team um Professor Dr. Hendrik Poeck, Geschäftsführender Oberarzt der Klinik und Poliklinik für Innere Medizin III des Universitätsklinikums Regensburg, konnte mit der Entdeckung neuer „mikrobieller Signaturen“ einen wichtigen wissenschaftlichen Schritt in diese Richtung gehen. Die vielversprechenden Erkenntnisse überzeugten nun auch den Europäischen Forschungsrat, der heute bekanntgab, das “MICROBOTS“-Forschungsprojekt am UKR mit einem ERC Consolidator Grant zu fördern – ein Erfolg, der am UKR bisher einmalig ist.
Neuer Ansatz gegen Abstoßungsreaktion und Rückfälle bösartiger Erkrankungen des blutbildenden Systems nach einer allogenen Stammzelltransplantation
Professor Poeck untersucht seit einigen Jahren die Wechselwirkungen zwischen Stammzelltransplantationen und dem Darm-Mikrobiom. „Die ,Darmflora‘, genauer bezeichnet als das ,Darm-Mikrobiom‘, d.h. die Gesamtheit der Mikroorganismen, die unseren Verdauungstrakt besiedeln, kann die Wirksamkeit einer allogenen Stammzelltransplantation sehr beeinflussen“, erklärt der Spezialist für Akute Leukämien, Stammzelltransplantation und Immuntherapie. So wird ein vielfältiges Darm-Mikrobiom mit günstigen klinischen Ergebnissen in Verbindung gebracht. Doch welche mikrobiellen Bestandteile des Darm-Mikrobioms für die positiven klinischen Effekte bei einer allogenen Stammzelltransplantation verantwortlich sind, bedarf weiterer Untersuchungen. Zuletzt konnte das Team um Professor Poeckneue „mikrobielle Signaturen“ entdecken, die sich positiv auf die klinischen Ergebnisse, einschließlich Rückfällen und Abstoßungsreaktionen, auswirken. Damit verbunden war auch die Entdeckung einer bestimmten Klasse mikrobieller Botenstoffe, der so genannten „mikrobiellen Metabolite“.
Das Projekt „MICROBOTS“ möchte nun eine tiefere Charakterisierung dieser schützenden Mechanismen vornehmen und dabei auch analysieren, wie diese mikrobiellen Botenstoffe Immunzell-Gewebe-Interaktionen im Rahmen von Transplantationen beeinflussen. Perspektivisch sollen auf Basis dieser Erkenntnisse klinische Testungen von ausgewählten mikrobiellen Konsortien und bestimmten „Metabolitmischungen“ (so genannte „Präzisions“-fäkale Mikrobiota-Transplantation [FMT]) in allogen stammzelltransplantierten Patienten erfolgen, um sowohl die Ansprechraten zu verbessern als auch die Nebenwirkungen zu reduzieren. „Aufgrund ihrer Fähigkeit, den Transplantat-gegen-Leukämie-Effekt zu beeinflussen, erstreckt sich die Bedeutung dieser mikrobiellen Botenstoffe nicht nur auf allogen stammzelltransplantierte Patienten, sondern auch auf andere T-Zell-vermittelte Therapien, die vom Darm-Mikrobiom beeinflusst werden, wie z.B. die CAR-T-Zelltherapie und Immun-Checkpoint-Inhibitoren“, erläutert Professor Poeck.
„Jeder einzelne Patient ist es wert“
„Ich fühle mich sehr geehrt und sehe diesen bedeutenden Forschungs-Grant als Auszeichnung. Dahinter steht die harte Arbeit eines interdisziplinären Teams, das sich mit großem Engagement für eine nachhaltige Verbesserung der Wirkung allogener Stammzelltransplantationen einsetzt. Die breite Unterstützung im Fachbereich Medizin ist für mich dabei extrem wertvoll ebenso wie die Einbindung unserer Arbeitsgruppe in erfolgreiche Gemeinschaftsprojekte, wie z.B. den Sonderforschungsbereich SFB TRR221, der sich mit der Transplantat-gegen-Wirt- und Transplantat-gegen-Leukämie-Immunreaktionen nach allogener Stammzelltransplantation beschäftigt, aber auch in das Leibniz-Institut für Immuntherapie (LIT). Jeder einzelne Patient ist es wert, dass wir hierfür forschen“, so Professor Poeck.
„Ich gratuliere Professor Poeck zu dieser Anerkennung seiner bemerkenswerten wissenschaftlichen Leistungen. Die ERC Grants an der Universität Regensburg sind ein eindrucksvolles Zeichen für die internationale Forschungsstärke unserer Universität und verdeutlichen die internationale Spitzenposition unserer exzellenten Wissenschaftler in dem hochinnovativen Forschungsfeld der Immunmedizin“, so Professor Dr. Udo Hebel, Präsident der Universität Regensburg. „Die Auszeichnung wird sich somit nicht nur positiv auf das unmittelbare Projekt auswirken, sondern „MICROBOTS“ verstärkt auch hervorragend innovative „bench to bed“- und „bed to bench“-Forschungsprojekte aus dem Bereich der Immunmedizin am Standort Regensburg“, blickt Professor Hebel in die Zukunft.
Immun- und Tumormedizin am Standort Regensburg weiter gestärkt
Die Bekämpfung bösartiger Erkrankungen und die Immunmedizin sind nicht nur von Beginn an wissenschaftliche und klinische Schwerpunkte am Medizin- und Wissenschaftsstandort Regensburg. Sie gehören heute auch untrennbar zusammen. „Gegen eine Krebserkrankung vorzugehen, heißt auch, das Immunsystem des Patienten zu verstehen und gezielt für die Therapie zu nutzen“, erläutert Professor Dr. Wolfgang Herr, Forschungsdekan der Fakultät für Medizin der Universität Regensburg und Direktor der Klinik und Poliklinik für Innere Medizin III des UKR. „Mit dem von der EU geförderten Projekt gehen wir hier einen großen Schritt weiter und erhoffen uns, dass die nächsten Jahre der Forschungsarbeit wichtige Erkenntnisse und Ansätze für noch wirksamere Immuntherapien bringen“, so Professor Herr.
Über den ERC und die ERC Consolidor Grants
Der ERC, der 2007 von der Europäischen Union gegründet wurde, ist die wichtigste europäische Förderorganisation für exzellente Pionierforschung. Er finanziert kreative Forscher aller Nationalitäten und jedes Alters, um Projekte in ganz Europa durchzuführen. Der ERC bietet vier zentrale Förderprogramme an: Starting Grants, Consolidator Grants, Advanced Grants und Synergy Grants.
Mit seinem Proof of Concept Grant hilft der ERC den Geförderten, die Lücke zwischen zwischen hoch relevanten Forschungsergebnissen und den frühen Phasen ihrer Kommerzialisierung zu überbrücken. Der ERC wird von einem unabhängigen Leitungsgremium, dem wissenschaftlichen Rat, geleitet. Seit November 2021 ist Maria Leptin die Präsidentin des ERC. Das Gesamtbudget des ERC für den Zeitraum 2021 bis 2027 beträgt mehr als 16 Milliarden Euro und ist Teil des Programms „Horizont Europa“, das derzeit unter der Verantwortung der Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, Margarethe Vestager, steht.
Bei den ERC Consolidator Grants handelt es sich um eine renommierte Förderung für herausragende Forschungsprojekte in Höhe von bis zu zwei Millionen Euro pro Projekt. Sie wird jährlich an exzellente vielversprechende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vergeben, deren eigene unabhängige Arbeitsgruppen sich in der Konsolidierungsphase befinden.